Hippokratisches Marketing – gibt es das?

Erst vor kurzem bin ich wieder auf ein Praxisgründungsseminar einer Bundesärztekammer gestoßen. Wohlgemerkt für Wahlärzte. Beim Durchlesen des Programms war ich dann doch einigermaßen erstaunt: Rechtsgrundlagen, Barrierefreiheit, Steuern, Versicherung und Vorsorge sowie auch ein Planspiel zur Praxisgründung wurden da angeboten.

Patientenansprache? Marketing? Kostenplanung des laufenden Betriebs? Fehlanzeige. Ich bin immer wieder verwundert, wie stiefmütterlich und fast nachlässig der Bereich Marketing mitunter behandelt wird. Es gilt leider immer noch für viele Ärzte als „unmoralisch“ und „mit dem Berufsethos nicht vereinbar“, sich mit Marketing und Kommunikation auseinanderzusetzen.

Dabei ist den meisten Ärzte gar nicht bewusst, was Marketing eigentlich bedeutet: Schlicht und ergreifend die Bestrebung, eine Dienstleistung am Kunden auszurichten – und zwar so, wie sie der Kunde haben will und nicht das Unternehmen.

Warum? Weil der Kunde dafür zahlt. Deswegen ist der Kunde König. Punkt.

Fakt ist: Gerade in Wahlarztpraxen entscheidet der Patient. Dieser entlohnt den Arzt und sein Team zumeist mit einer nicht unbeträchtlichen Summe, die ihm danach nur zum Teil zurück erstattet wird.

Nur Patienten sind umsatzentscheidend!

Vor allem Wahlärzte müssen das meist auf existenzbedrohende und harte Art und Weise lernen. Und die meisten davon trifft es unvorbereitet:

  • Der Patient ist der Einzige, der für den Umsatz einer Praxis verantwortlich ist.
  • Der Patient zahlt künftige Investitionen und Gerätschaften, die Ordinationsmiete und die Mitarbeiter. Und schließlich auch den Unterhalt für die Familie, den Hauskredit, das Auto und den Urlaub.
  • Damit ist der Patient der wichtigste Erfolgsfaktor einer Praxis.

Als Selbstständige und vor allem als gelernte Betriebswirtin weiß ich eines: Nachfrage und Preis bestimmen den Markt. Bei viel Konkurrenz bestimmen die Kundenzufriedenheit und die Qualität der Leistung den Verdienst. Auch ein Arzt ist Unternehmer, vor allem ein Arzt, der keinen Vertrag mit einer gesetzlichen Krankenversicherung abgeschlossen hat. Der Kunde? Ist der Patient. Und wir erinnern uns: Der Kunde ist König.

Die Zeiten haben sich geändert.

Vor zwanzig Jahren bestand Marketing für Ärzte aus der heiligen Dreifaltigkeit Telefonbucheintrag, Messingschild und Mundpropaganda. Das hat auch gut funktioniert, Patienten kamen automatisch und deren Befindlichkeiten außerhalb der Diagnosefindung und Therapie waren nur in den wenigsten Fällen gefragt. Doch Patientenanforderungen, Informationsaustausch und das wirtschaftliche Umfeld haben sich drastisch gewandelt: Patienten sind heutzutage kritische Konsumenten mit hohen Anforderungen an eine Dienstleistungsgesellschaft. Jeder investierte Euro, auch in die eigene Gesundheit, wird kalkuliert. Und in der heutigen Informationsgesellschaft potenziert sich die Meinung eines unzufriedenen Patienten mehr als je zuvor: Jeder Patient hat die Möglichkeit über das Internet nicht nur zwei oder drei, sondern hundert anderen (möglichen) Patienten von seinen Erlebnissen zu berichten.

Daher ist es auch an der Zeit, in einer beruflichen Interessensvertretung das Thema „Patientenzufriedenheit“ zu behandeln. Ordinationen, die nicht sich selbst sondern ihre Patienten in den Mittelpunkt stellen, sind messbar erfolgreicher – und überlebensfähig für die Zukunft. Aber Patientenzufriedenheit ist nicht nur aus betriebswirtschaftlicher Sicht wichtig. Denn wie auch schon der Hippokratische Eid festlegt, sollten der Patient und dessen Wohl im Mittelpunkt aller Überlegungen stehen.

So gesehen stehen sich das Berufsethos der Mediziner und Marketing gar nicht im Weg. Letztendlich geht es nur um eines: Das Wohl des Patienten, seine Gesundheit und eine Behandlung nach bestem Wissen und Gewissen.

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